Warentransport per Frachtsegler Jede Windböe zählt
Segel setzen auf der Nordsee: Eine internationale Crew will mit einem alten Kahn klimafreundlich Waren über die Weltmeere transportieren. Mit der Kraft des Windes und jeder Menge Handarbeit.
Fünf Monate war die »Avontuur« zuletzt auf dem Atlantik unterwegs. Jetzt, Mitte Juli, fehlen noch die letzten 120 Seemeilen von der Nordseeinsel Föhr bis zum Ziel: Hamburg. Die Crew hat sich für die letzte Etappe viel vorgenommen: Sie muss pünktlich ankommen. Trotzdem soll sie möglichst lange unter Segeln fahren – der Umwelt zuliebe.
Felix Czaja, Kapitän:
»Natürlich wäre es ideal, wenn wir komplett durchsegeln können und dann erst kurz vor oder erst in Hamburg die Segel runternehmen. Aber ich habe das Gefühl, es wird dafür nicht reichen.«
Zwei Tage zuvor: Die »Avontuur« liegt im Hafen von Wyk auf Föhr. Hier werden zwei 60-Liter-Fässer Whisky einer familienbetriebenen Destillerie von der Nordseeinsel auf das Schiff geladen. Auf den meisten kommerziellen Frachtern helfen elektronische Kräne beim Beladen – hier braucht es Muskelkraft und Feingefühl. Jedes Fass ist 8500 Euro wert.
Felix Czaja, Kapitän:
»Wenn der Eigner von dem Whisky danebensteht, ist es natürlich besonders gefährlich. Deswegen haben wir das schön vorsichtig und langsam gemacht und mit extra Leinen noch abgesichert. Dass da bloß nichts ins Wasser fällt.«
Jan Hinrichsens will sein Produkt möglichst klimaneutral zu einer Messe auf dem Festland segeln lassen. Bei nur zwei Fässern eher ein symbolischer Akt, aber für den Bio-Landwirt und Destillateur ein Schritt in die richtige Richtung.
Jan Hinrichsens, Landwirt:
»Heute wird oftmals Wirtschaft betrieben, dass es einen Gewinner und einen Verlierer gibt. Und das möchten wir eben nicht. (…) Wir sind Inselbewohner und ich glaube, bei uns kommt hier der Klimawandel als erstes an oder mit als erstes. Und ich glaube, es ist noch nicht zu spät. Aber auch unsere Generation muss jetzt schon anfangen, umzudenken.«
Die Fässer gesellen sich zu anderen, zum größten Teil fair gehandelten Produkten: Säckeweise Kaffee- und Kakaobohnen aus Übersee, Fässer mit Rum und Korn. In vier Tagen soll die Luke wieder geöffnet werden. Dann wollen Dutzende freiwillige Helferinnen und Helfer in Hamburg beim Löschen der Fracht mit anpacken.
Eigentlich sollte die letzte Etappe schon heute starten. Aber die Windrichtung stimmt nicht, die Abfahrt ist auf morgen verschoben. Ein Tag, um das Schiff noch einmal auf Vordermann zu bringen. Unterwegs ist dafür nur selten Zeit.
Antonia Bauer, Shipmate:
»Wir putzen ein bisschen was, aber nicht alles. Weil wir können ja auch den Feuerwehrschlauch nicht so oft benutzen, wenn wir normalerweise unterwegs sind.«
Astrid Molto, Bootsfrau:
»Jetzt, wo wir endlich ankommen, wollen wir, dass es wenigstens etwas besser aussieht.«
Man sieht es dem Schiff an: 104 Jahre hat die »Avontuur« auf dem Buckel. Seit die Reederei Timbercoast sie vor zehn Jahren in den Dienst für eine nachhaltige Frachtschifffahrt gestellt hat, hat sie 22-mal den Atlantik überquert. Der letzte Abschnitt war 5400 Seemeilen lang: von Mexiko über die Azoren bis zum europäischen Festland. Kapitän Felix Czaja und fünf seiner Crewmitglieder sind fest angestellt. Unterstützt werden sie von sogenannten Shipmates – Freiwillige, die knapp 5000 Euro bezahlt haben, um fünf Monate lang Teil des Abenteuers Frachtsegeln zu sein. Und dabei jeden Tag und jede Nacht zu arbeiten. Alle vier Stunden wechselt die segelnde Crew. Irgendwer schläft immer, irgendwer hat immer Hunger.
Emilio Maimone, Schiffskoch:
»Wir haben es etwas eilig. Zeitplanung ist wichtig auf einem deutschen Schiff.«
Simon Hanselmann, Shipmate:
»Für mich ist das ein Pilotprojekt. Ich mag die Idee, ich mag das Segeln. Und ich mag, dass das Segeln hier einem Zweck dient. Auf der anderen Seite ist es ein sehr, sehr kleiner Maßstab und passt nicht in die heutige Wirtschaftswelt. Aber ich magdie Aufmerksamkeit, die das Projekt bekommt. Denn die Leute sehen das und merken: Wir trinken jeden Tag Kaffee, aber der kommt vom anderen Ende der Welt und legt Tausende von Kilometern zurück. Vielleicht sollte er ein Luxusartikel sein.«
Felix Czaja, Kapitän:
»Der Wind sieht gut aus im Moment. Wir müssen losmachen und dann nimmt uns die Tide mit raus. Und sobald wir draußen sind, so in zwei Stunden, setzen wir Segel und es geht Richtung Elbmündung.«
Die letzte Etappe bricht an. Unter Motor geht es auf ins Wattenmeer, irgendwo da hinten ist die Einfahrt in die Elbe. Dann frischt der Wind endlich auf. Segel setzen!
Astrid Molto, Bootsfrau:
»Super, noch einmal. Das war sehr gut.«
Felix Czaja, Kapitän:
»Ist natürlich ein schönes Gefühl, endlich den Motor ausmachen zu können und einfach nur segeln zu können. Es ist wesentlich stabiler im Schiff. Man merkt, es ist fürs Segeln gebaut. Wir müssen natürlich ein bisschen mehr aufpassen, der Strom hat wesentlich mehr Einfluss, wir müssen langsamer fahren. Aber grad ist der Wind ganz gut. Wir kommen gut voran.«
Je näher die Elbmündung kommt, desto dichter wird der Verkehr auf der Nordsee. Die »Avontuur« findet sich inmitten riesiger Frachter wieder, die den Welthandel am Laufen halten.
Bis zu 90 Prozent aller Waren auf dem Globus werden auf dem Seeweg transportiert – auf über 60.000 Frachtschiffen. Fast alle nutzen als Kraftstoff Schweröl, Marinediesel oder Flüssigerdgas. Dadurch ist die Schifffahrt für etwa drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hinzu kommt: Auf den Ozeanen lässt sich leicht übersehen, wie Schiffe der Umwelt zusetzen: Lärm über und unter Wasser, Einträge von Abwässern, Abfällen und aus Beschichtungen. Je mehr immer größere Schiffe unterwegs sind, desto problematischer ist das für das Klima und die Natur. Die weltweite Schifffahrtsindustrie hat sich vorgenommen, klimaneutral werden – bis etwa 2050. Das soll vor allem durch neu entwickelte Kraftstoffe gelingen.
Auch die »Avontuur« hat einen Dieselmotor an Bord. Laut der Reederei setzt die Crew den aber im Schnitt nur für etwa ein Prozent der zurückgelegten Strecken ein. Dann arbeitet der Bootsmechaniker am Motor im Maschinenraum, heute muss er sich aber um den Abwassertank kümmern. Es stinkt unter Deck, ausgerechnet in den Kojen.
Benedikt Röth, Bootsmechaniker:
»Ich weiß noch nicht genau, was passiert ist, aber Schwarzwasser ist aus dem Tank ausgetreten. Da musste ich dann heute auspumpen. Also Rohrleitungen sahen alle noch okay aus. Für den Überlauf war es dann ein bisschen zu viel.«
Viel Arbeit also an Bord des alten Schiffes. Und das alles für eine Idee. Der Eigner und die Crew wollen eher ein Signal an Politik und moderne Schifffahrtsindustrie setzen: Es geht schon jetzt – oder wieder – fast klimaneutral. Wenn der Wind genutzt wird.
Und der macht jetzt, nach einem Tag Segeln, kurz vor der Elbmündung langsam, aber sicher schlapp. Abendstimmung vor Cuxhaven. Und Kopfschütteln über die »großen Pötte«.
»Hauptsache der Kaffee kostet nicht mehr als vier Euro.«
Felix Czaja, Kapitän:
»Vielleicht noch ein bisschen.«
Felix Czaja, Kapitän:
»Für mich zählt jeder Meter, den wir segeln. Natürlich wäre es ideal, wenn wir komplett durchsegeln können und dann erst kurz vor oder erst in Hamburg die Segel runternehmen. Aber ich habe das Gefühl, es wird dafür nicht reichen.«
Kapitän Felix Czaja versucht, das letzte bisschen Wind auszureizen. Doch es nützt nichts: Die Crew muss am späten Abend noch den Motor anschmeißen, die Segel einholen und schließlich ankern. Gegen den Gezeitenstrom aus der Elbe würde die »Avontuur« jetzt nicht mal mit Motor ankommen.
»Der Anker ist oben!«
Der nächste Morgen: Mit der einlaufenden Tiede, tuckert der Segelfrachter die Elbe hinauf. Die Gezeiten helfen jetzt beim Vorwärtskommen und Spritsparen.
Erik Bolts, Zweiter Offizier:
»Wir sind immer langsamer und kleiner als alle anderen. Und unser Vorrecht haben wir auch verloren, wo wir keine Segel mehr haben. Sonst müsste jeder uns Platz machen. Jetzt nicht mehr.«
Es wirkt wie David gegen Goliath: In der Elbe wird die »Avontuur« nicht nur von rieseigen Containerschiffen eingeholt, sondern mal wieder auch von der Realität.
Felix Czaja, Kapitän:
»Vorletztes Jahr haben wir das noch geschafft, dass wir bis da vorne, wo die Containerschiffe liegen, 300 Meter zurück, durchzusegeln. Bevor wir Segel runtermachen mussten und Motor an. (…) Aber das war schon richtig schön, dann auch mit Schräglage an den Containerschiffen vorbeizufahren. Leider, leider haben wir das jetzt dieses Mal nicht geschafft.«
Doch auf den letzten Metern überwiegt die Vorfreude. Die »Avontuur« erreicht überpünktlich den Hamburger Hafen, es wäre sogar noch Puffer für Flaute auf der Nordsee gewesen.
Am nächsten Morgen fährt die »Avontuur« in den Harburger Binnenhafen ein. Freunde, Freiwillige und die Kunden, für die Felix Czaja und seine Crew über den Atlantik gesegelt sind, warten schon.
Felix Czaja, Kapitän:
»Eine große Last ist weniger, weil wir jetzt längsseits sind. Aber wir haben noch erstmal die nächsten Stunden zum Löschen. Aber wenn da alles raus ist… Und dann heute Abend, dann…«
Bevor die Besatzung ihre monatelange Reise wirklich beendet, muss sie ein letztes Mal zusammen anpacken. Diesmal mit jeder Menge Unterstützung, aber immer noch mit wenigen modernen Hilfsmitteln.
Rentabel ist all das nicht, sagt der Besitzer der »Avontuur«.
Cornelius Bockermann, Reeder:
»Die Besatzung fährt für weniger Geld. Unsere Mitsegler, die mitarbeiten, die bringen auch Geld mit, bezahlen sogar dafür, dass sie bei uns mitmachen dürfen – und auch was lernen. Klar, aber damit ist kein Geld zu verdienen.«
Auch Jan Hinrichsens, der Whiskybrauer von Föhr, ist vor Ort, um seine Fässer und die Crew in Empfang zu nehmen.
Jan Hinrichsens, Landwirt:
»Das ist sehr persönlich der Umgang hier miteinander. Und auch das gehört für uns zur Nachhaltigkeit. Das ist nicht nur das Geldliche letztendlich und Schutz der Umwelt. Dass das alles irgendwie im Kreislauf funktioniert. Sondern auch das Persönliche, also, dass man lange Partnerschaften pflegt und Freundschaften entstehen. Das macht das Leben lebenswert.«
Die alte »Avontuur« hat jetzt erst einmal genug geschafft. Nach acht Jahren und 160.000 Seemeilen muss das Schiff generalüberholt werden. Dann soll sich das Schiff wieder nach Mexiko aufmachen – nicht, um die Lösung für einen klimaneutralen Welthandel zu sein, sondern um eine Botschaft über den Atlantik zu segeln: Es geht auch anders.